Nun ist auch Mulli gegangen.
Am 26. April 2004 ist sie Fieti gefolgt.
Ich hielt Mulli im Arm, als die Tierärztin ihr die Spritze gab. Ihr Körper war weich und warm, und sie hatte die Augen geschlossen. Sie sah aus, als ob sie schliefe, als ich sie sanft auf den Tisch zurücklegte. Ich wollte nicht wahrhaben, dass Mulli tot war. Die Tierärztin gab mir das Stethoskop, damit ich mich überzeugen konnte, aber ich hörte nur die Geräusche von draußen, meine zitternden Hände und Mullis Herz. Dabei wußte ich aber, dass es vorbei war. Ich habe nicht geweint. Ich fühlte nur eine große Traurigkeit und Leere.
Geliebte kleine Mulli, wie kann ich mit Worten beschreiben, was ich für Dich empfand? Wie kann ich Dir gerecht werden? Du warst so ganz anders als Elias, Mischi, Maxi, Willi und Fieti. Du warst keine Schmusekatze, strichst nicht um unsere Beine, um Dich einzuschmeicheln. Natürlich wolltest Du auch gestreichelt werden, und das am liebsten den ganzen Tag! Aber Du hast nicht darum gebettelt, Du hast gefordert! Du hattest auch nicht das Bedürfnis, uns Menschen gleich zu sein. Unser Essen hast Du kategorisch abgelehnt. Ich konnte Dich nicht mit Leberwurst, Schinken oder Sahne locken. Wenn man mit Dir kommunizieren wollte, musste man auf Deine Ebene hinunter kommen.Mein kleiner Schatz, mit Deiner starken Persönlichkeit hast Du mich ganz vereinnahmt. Du fehlst mir. Ich gehe manchmal durch die leere Wohnung, und weiß gar nicht, was ich anfangen soll. Du bist jetzt bei Fieti im Katzenhimmel, wie ich es mir vorstellen will, und es geht Dir wieder gut. Das hoffe ich von ganzem Herzen.
Mulli ist nicht an einer Krankheit gestorben. Ihre Lebenszeit war abgelaufen! Sie war 18 Jahre alt, und - laienhaft ausgedrückt -die Körperfunktionen ließen allmählich nach. Sie hatte sich verändert, als Fieti nicht mehr da war, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie um ihn trauerte, sie wird ihn vermisst haben. Sie wurde noch anhänglicher. Anfänglich ging sie noch kurz nach draußen, und später nur noch , wenn einer von uns auf der Terrasse war. Ich musste sie sogar begleiten, wenn sie ihre Geschäfte verrichten wollte. Das war manchmal lästig, weil sie das Bedürfnis erst spät am Abend hatte. Ich stand dann zitternd im Bademantel in der offenen Terrassentür und wartete, dass sie es endlich geschafft hatte. Es dauerte lange, bis Mulli schließlich die richtige Stelle gefunden hatte. Ich war froh, als sie plötzlich die Katzenschüssel annahm und auch Dosenfutter aß! Aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, weiß ich, das es schon der Anfang vom Ende war! Ich habe es damals nur nicht begriffen.
Wegen ihrer empfindlichen Verdauung bin ich mit Mulli alle drei Wochen zur Tierärztin gegangen, und sie bekam Spritzen, damit wieder alles in Schwung kam. Einmal, es war Anfang Februar, als ich vom Tierarztbesuch kam, war Mulli völlig durchgedreht. Sie stand auf meinem Bett und schrie, wie ich sie noch nie habe schreien hören. Nach einiger Zeit beruhigte sie sich ging aber immer im Kreis oder großen Spiralen herum, als ob sie narkotitiert wäre. Ich schob es auf die Spritzen, und nahm an, dass es sich geben würde. Aber auch am nächsten Tag benahm sie sich eigenartig, und plötzlich kam mir die Idee, dass sie vielleicht nicht mehr sehen konnte. Wir leuchteten mit einer Taschenlampe in ihre Augen, und die Pupillen veränderten sich nicht!
Ich ging sofort mit ihr zur Tierärztin, und sie stellte fest, dass Mulli eine Netzhauteinblutung hatte. Die Ärztin meinte, es käme von zu hohem Blutdruck, und ich musste Mulli zweimal täglich eine viertel Tablette geben. Im Übrigen meinte sie, Katzen könnten sich gut zurecht finden, auch wenn sie blind wären. So war es auch. Mulli bewegte sich wieder normal, aß gut, und dann geschah ein kleines Wunder! Mulli konnte wieder sehen! Sie sah mich mit einem ganz wachen Blick an, und reagierte auch wieder auf meine Handbewegungen. Ich war glücklich.
Als sie dann noch den jungen starken Kater unseres Hausmeisters in die Flucht trieb, dachte ich, es wäre alles wieder in Ordnung. Sie machte es Fieti nach. Zwei Monate lebte sie unbeschwert. Aber dann ging alles sehr schnell. Ich war noch mit ihr bei der Tierärztin zur üblichen Spritze. Sie sah sich Mulli genau an, und fand, dass sie ganz in Ordnung wäre. Aber nach zwei Tagen konnte Mulli nicht mehr hören und sehen.
Ich stellte sie vor ihren Futterteller, sie aß auch etwas, gab aber ungewohnte tiefe laute Töne von sich.
Am nächsten Tag verstummte sie ganz und nahm auch kein Futter mehr zu sich. Sie ging unentwegt in der Wohnung umher, immer an den Wänden entlang. Sie hatte keine Orientierung mehr. Aber wenn ich sie auf den Arm nahm, schnurrte sie laut. Das gab mir immer wieder Hoffnung. Auf das Bett oder den Stuhl konnte ich Mulli nicht mehr setzen. Sie fiel runter und blieb dann so liegen, wie sie gefallen war. Ich wartete noch einen Tag ab, weil ich auf ein zweites Wunder hoffte. Am nächsten Tag war kaum noch zu ertragen, wie sie stumm durch die Gegend wankte. Sie blieb dann auch einfach irgendwo auf dem Teppich liegen und gab auf. Ich rief die Tierärztin an, die nicht glauben konnte, dass es so schlimm um Mulli stand. Aber sie wollte nach der Sprechstunde kommen. Wir haben uns dann in das Wohnzimmer gesetzt und gewartet. Ich hatte Mulli auf dem Schoß. Sie war ganz ruhig, nur etwas Speichel floß aus ihrem Mäulchen. Als die Ärztin kam, war sie erschüttert. Sie sah sofort, dass nichts mehr zu machen war.
Und das war dann das Ende.
Mulli war die eigenwilligste Katze, die bei uns gelebt hat. Sie war neurotisch, nervig und egoistisch! Aber ich habe sie geliebt. Ohne sie ist die Wohnung kalt und leer. Jetzt habe ich nur noch ihre Fotografien, und wenn ich sie mir anschaue, steigt mir ein Kloß in den Hals. Ich tröste mich damit, dass ich weiß, sie hat es gut bei uns gehabt. Wir haben alles getan, damit sie sich wohlfühlt. Und auch wenn ich sie für egoistisch hielt, sie hat es uns auf ihre Weise gedankt.